Der Meister |
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von Katrin Weber-Klüver
Jiri Nemec ist anders als alle. Keiner ist wie er, und wenn man gar nichts
über ihn
sagte, gefiele ihm das mit ziemlicher Sicherheit am allerbesten. Aber wissen
kann
man das nicht.
Jedes Jahr aufs Neue will Jiri Nemec für immer zurück. Aber dann
bleibt er doch jedes Jahr
wieder in Gelsenkirchen, nun schon die achte Saison. Für Schalke verrichtet
er unermüdlich
seine Arbeit im Mittelfeld, auch wenn es oft so aussieht, als gehe das
alles weit über seine
Kräfte. Etwa, wenn es ihn beim einfachen Passspiel auf den Rasen haut.
Oder wenn er sich
nach einem Foul nur sehr mühsam und sehr müde wieder aufrappelt.
Und wenn er mit seinen hängenden Schultern über den Platz trottet,
könnte man meinen, er
grübele seit Ewigkeiten, komme aber einfach nicht darauf, wieso er
Fußballspieler geworden
ist. Was ihn bloß in diese lärmige Welt verschlagen hat, in
der erwachsene Männer Bälle in
ein Netz dreschen und dieses kindische Tun mit wildem Schreien und wüsten
Gesten
bejubeln, um nicht "obszön" zu sagen.
Jiri Nemec täte so etwas nie und nimmer. Er vermeidet die Gefahr konsequent
und schießt
nur alle zwei Jahre mal ein Tor. Das macht aber gar nichts.
Wenn seine Schwermut der Versuch ist, sich unsichtbar zu machen und der
Aufmerksamkeit des Publikums zu entgehen, dann ist er grandios gescheitert.
Der "Meister"
wird Nemec bei Schalke genannt. Und auch jenseits von Schalke vielerorts
sehr geachtet.
Es ist eine stille Fangemeinde. Sie weiß warum.
Vermutlich wäre ihm die Ehrerbietung etwas unangenehm. Aber wer weiß
das schon? Man
weiß ohnehin wenig von ihm. Zum Beispiel dies: Seine liebste Freizeitbeschäftigung
ist es,
aus Streichhölzern Schiffsmodelle zu bauen.
Man kann es sich sofort vorstellen: Wie er unter einer funzeligen Leuchte
hockend, aber in
einer selig machenden Ruhe in wochenlanger Arbeit Tausende von Streichhölzern
aneinander klebt. Man kann es sich wunderbar vorstellen - aber es ist komplett
erfunden.
Irgendjemand hat sich das Schiffchenbasteln einfach ausgedacht. Und Jiri
Nemec hat es nie
bestritten.
Denn Jiri Nemec, der ziemlich gut Deutsch spricht (wie Eingeweihte wissen),
spricht nie und
über nichts in der Öffentlichkeit. Keine Interviews, keine Fernsehsendungen,
gar nichts. Jiri
Nemec spielt einfach Fußball. Und schweigt. Und vielleicht ist er
gerade deshalb ein so
großartiger Held, weil er die Phantasie des Publikums nicht mit der
Dummheit der Worte
beleidigt. Man kann sich gar nicht tief genug vor ihm verbeugen.
Aber es soll hier kein Fußballspieler in Versuchung geführt
werden, ihm nachzueifern: So
felsenfest abgrundtief zu schweigen ist etwas, was nie einer können
wird wie er, Nemec, der
Meister.